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Sonntag, 31. Januar 2010
Entsorgung der verdrängten Geschichte
moralist, 12:36h
In der Nacht vom 6. auf den 7. März wird es soweit sein. Dann wird der Bahnverkehr auf der Strecke Ingolstadt - Treuchtlingen kurz unterbrochen, der Strom der Oberleitungen wird ausgeschaltet werden und ein paar Bagger werden anrücken um ein Gebäude dem Erdboden gleich zu machen, das jetzt 140 Jahre dort steht. Es wird ein paar stumme oder halblaute Proteste geben, vorgetragen von den üblichen Querulanten, der Kulturclique der Stadt, allesamt irrelevante Randgruppen wie Künstler, Heimatpfleger, Historiker, Sozialarbeiter.
Die alten Eingeborenen werden "Ja mei!" seufzen, vielleicht auch erleichtert "Jetz is's weg, des oide Glump" ausrufen. Die meisten Bewohner der Stadt werden jedoch übrhaupt keine Notiz davon nehmen.
Was am 6. März abgebrochen wird, ist aber nicht nur ein altes Gebäude in schlechtem Zustand, es ist ein Stück ungeschminkter Geschichte dieser Stadt, deren Selbstbild so krampfhaft zukunftsorientiert und optimistisch ist, dass sie ein solches Bauwerk nicht in ihren Mauern dulden kann.
Als das Gebäude 1869 als "Localbahnhof" errichtet wurde, bedeutete das nichts weniger als den Anschluss der von den Festungsanlagen eingemauerten Stadt an die Welt, an das gerade entstehende Bahnnetz.
Die erste Verbindung über die Festungsgräben hinweg war die Straße zum Nordbahnhof. Diese Nähe zur Festung war es auch, die die Bauweise des Bahnhofsgebäudes bedingte:
Die Militärs hatten verfügt, den Bahnhof in Fachwerktechnik auszuführen. In den 50er Jahren wurde das Bahnhofsgebäude dann mit Heraklith verkleidet und mit einem scheußlichen Anstrich versehen
Der Fundamentsockel aus massiven Jurasteinen ist nur 60 cm hoch und mit vorgebohrten Sprenglöchern versehen, damit das ganze Gebäude im Verteidigungsfall mit dem damals brandneuen Dynamit schnell weggesprengt werden konnte um freies Schussfeld zu haben.
Der einige Jahre später in massiver Bauweise errichtete "Central-Bahnhof" liegt aus dem gleichen Grund drei Kilometer südlich des Stadtzentrums, wobei das schon eine Konzession der allmächtigen Militärs an die Stadt war, die sich die Bürger nach einer Petition an Ludwig II. erstritten hatten. Ursprünglich hätte der Hauptbahnhof am Schnittpunkt der Donautalbahn mit der Strecke München - Nürnberg bei Oberstimm entstehen sollen - noch drei Kilometer weiter draußen, vor der Stadt.
Das Empfangsgebäude des Nordbahnhofs ist heute tatsächlich in einem erbärmlichen Zustand, wie so viele andere Bahnhöfe, die von einer Bahn nicht mehr gebraucht werden, die keine "Bahn" mehr sein will, sondern ein global agierender Logistik-Konzern.
Fahrkarten gibt es im Internet oder vom Automaten, statt öffentlicher Bedürfnisanstalten gibt es automatisierte High-Tech-Toiletten, statt eines Bahnhofsrestaurants Schokoriegel aus dem Automaten. Gewartet wird auf zugigen Beton-Bahnsteigen, aber vorgesehen ist das überhaupt nicht mehr, weil die "Kunden", die früher mal Fahrgäste waren, ja just-in-time angeliefert werden sollen.
Das Gebäude mit seiner Schalterhalle, der Gepäckaufgabe, dem Warteraum mit altem gewachsten Parkett und Kachelofen wird also nicht mehr benötigt und so passierte, was mit allen Gebäuden passiert, die nicht mehr genutzt werden.
In dieser Stadt gibt es eine lange, ungebrochene Tradition des Niederreißens: Im 19. Jahrhundert mußte die Heilig-Kreuz-Kirche einer Kaserne weichen, nach 1945 wurde das im Krieg schwer beschädigte Bezirksamt von 1559 wiederhergestellt um dann 1963 plattgemacht zu werden für das grandios abscheuliche Textilkaufhaus "Wagner", heute City-Arcaden, im selben Jahr, in dem auch das schönste der Festungs-Kavaliere , das Kavalier Spreti wegen "Verkehrsbehinderung" abgetragen wurde.
Die Begründungen sind stets die gleichen:
Es muss sein, es gibt keine Alternative!
Zu teuer!
Arbeitsplätze!
Diese brachiale Argumentation drängt alle Andersdenkenden in die Rolle der Fortschrittsfeinde und Arbeitsplatzvernichter. Wer es wagt Einspruch gegen das neue hässliche Gesicht der Produkte der gewinnmaximierenden Grundstücksnutzung zu erheben, gilt als reaktionärer Märklin-Welt-Idylliker.
Dass nun auch Ingolstadts ältester Bahnhof weggeschoben wird, ist nur konsequent. Die Wahrnehmung der Geschichte beschränkt sich hier auf die prachtvollen, repräsentativen Aspekte: gotische Kirchen und Schlösser, barocke Fassaden und rankingfähige Rokkoko-Superlative ("größtes Deckengemälde"), die klassizistische Landesfestung eines Leo von Klenze, das macht natürlich etwas her, das passt zu einer Stadt, in der der Weltmarktführer im Premiumsegment zuhause ist!
Aber doch keine alte gammlige Baracke wie dieser Bahnhof, der mittlerweile ein Fremdkörper ist in dem Viertel, dem er einst den Namen gab.
Der Bahnhof stammt aus einer Zeit, in der man hier am Sonntag die Züge ins Altmühltal, nach München und weiter nach Garmisch, Tegernsee oder Starnberg bestieg und unter der Woche die Kinder aus dem dörflichen Hinterland mit dem Zug am Nordbahnhof angeliefert wurden und zu Fuß zum einen Kilometer entfernten Gymnasium liefen. Hier kamen 1945 die Flüchtlinge an und der "Localbahnhof" war auch der Bahnhof, über den die Arbeiter der Geschützgießerei, der Despag und der Auto-Union täglich von ihren Heimatdörfern in die Stadt pendelten.
Das sind kleine und wenig glamouröse Teile unserer Geschichte, an die sich die Repräsentanten unserer Stadt nicht erinnern wollen. Sie blicken nach vorne, phantasieren vom "erfolgreichsten Standort Deutschlands", verweisen auf Rankings bei Focus Money. Sie denunzieren, was nicht dem Image der dynamischen High-Tech-Region entspricht, als wertlos und sind überzeugt, das Richtige zu tun. Sie sind erfolgreich, deshalb haben sie recht. So einfach ist das!
Deshalb ist es auch richtig, an die Stelle eines 140 Jahre alten Bahnhofsgebäude ein Parkhaus zu stellen, damit die Reisenden, wenn sie in der Premiumregion eintreffen, gleich wissen, woran sie sind.
Dynamik, Automobile, Modernität!
Willkommen in der Boomtown!
Die alten Eingeborenen werden "Ja mei!" seufzen, vielleicht auch erleichtert "Jetz is's weg, des oide Glump" ausrufen. Die meisten Bewohner der Stadt werden jedoch übrhaupt keine Notiz davon nehmen.
Was am 6. März abgebrochen wird, ist aber nicht nur ein altes Gebäude in schlechtem Zustand, es ist ein Stück ungeschminkter Geschichte dieser Stadt, deren Selbstbild so krampfhaft zukunftsorientiert und optimistisch ist, dass sie ein solches Bauwerk nicht in ihren Mauern dulden kann.
Als das Gebäude 1869 als "Localbahnhof" errichtet wurde, bedeutete das nichts weniger als den Anschluss der von den Festungsanlagen eingemauerten Stadt an die Welt, an das gerade entstehende Bahnnetz.
Die erste Verbindung über die Festungsgräben hinweg war die Straße zum Nordbahnhof. Diese Nähe zur Festung war es auch, die die Bauweise des Bahnhofsgebäudes bedingte:
Die Militärs hatten verfügt, den Bahnhof in Fachwerktechnik auszuführen. In den 50er Jahren wurde das Bahnhofsgebäude dann mit Heraklith verkleidet und mit einem scheußlichen Anstrich versehen
Der Fundamentsockel aus massiven Jurasteinen ist nur 60 cm hoch und mit vorgebohrten Sprenglöchern versehen, damit das ganze Gebäude im Verteidigungsfall mit dem damals brandneuen Dynamit schnell weggesprengt werden konnte um freies Schussfeld zu haben.
Der einige Jahre später in massiver Bauweise errichtete "Central-Bahnhof" liegt aus dem gleichen Grund drei Kilometer südlich des Stadtzentrums, wobei das schon eine Konzession der allmächtigen Militärs an die Stadt war, die sich die Bürger nach einer Petition an Ludwig II. erstritten hatten. Ursprünglich hätte der Hauptbahnhof am Schnittpunkt der Donautalbahn mit der Strecke München - Nürnberg bei Oberstimm entstehen sollen - noch drei Kilometer weiter draußen, vor der Stadt.
Das Empfangsgebäude des Nordbahnhofs ist heute tatsächlich in einem erbärmlichen Zustand, wie so viele andere Bahnhöfe, die von einer Bahn nicht mehr gebraucht werden, die keine "Bahn" mehr sein will, sondern ein global agierender Logistik-Konzern.
Fahrkarten gibt es im Internet oder vom Automaten, statt öffentlicher Bedürfnisanstalten gibt es automatisierte High-Tech-Toiletten, statt eines Bahnhofsrestaurants Schokoriegel aus dem Automaten. Gewartet wird auf zugigen Beton-Bahnsteigen, aber vorgesehen ist das überhaupt nicht mehr, weil die "Kunden", die früher mal Fahrgäste waren, ja just-in-time angeliefert werden sollen.
Das Gebäude mit seiner Schalterhalle, der Gepäckaufgabe, dem Warteraum mit altem gewachsten Parkett und Kachelofen wird also nicht mehr benötigt und so passierte, was mit allen Gebäuden passiert, die nicht mehr genutzt werden.
In dieser Stadt gibt es eine lange, ungebrochene Tradition des Niederreißens: Im 19. Jahrhundert mußte die Heilig-Kreuz-Kirche einer Kaserne weichen, nach 1945 wurde das im Krieg schwer beschädigte Bezirksamt von 1559 wiederhergestellt um dann 1963 plattgemacht zu werden für das grandios abscheuliche Textilkaufhaus "Wagner", heute City-Arcaden, im selben Jahr, in dem auch das schönste der Festungs-Kavaliere , das Kavalier Spreti wegen "Verkehrsbehinderung" abgetragen wurde.
Die Begründungen sind stets die gleichen:
Es muss sein, es gibt keine Alternative!
Zu teuer!
Arbeitsplätze!
Diese brachiale Argumentation drängt alle Andersdenkenden in die Rolle der Fortschrittsfeinde und Arbeitsplatzvernichter. Wer es wagt Einspruch gegen das neue hässliche Gesicht der Produkte der gewinnmaximierenden Grundstücksnutzung zu erheben, gilt als reaktionärer Märklin-Welt-Idylliker.
Dass nun auch Ingolstadts ältester Bahnhof weggeschoben wird, ist nur konsequent. Die Wahrnehmung der Geschichte beschränkt sich hier auf die prachtvollen, repräsentativen Aspekte: gotische Kirchen und Schlösser, barocke Fassaden und rankingfähige Rokkoko-Superlative ("größtes Deckengemälde"), die klassizistische Landesfestung eines Leo von Klenze, das macht natürlich etwas her, das passt zu einer Stadt, in der der Weltmarktführer im Premiumsegment zuhause ist!
Aber doch keine alte gammlige Baracke wie dieser Bahnhof, der mittlerweile ein Fremdkörper ist in dem Viertel, dem er einst den Namen gab.
Der Bahnhof stammt aus einer Zeit, in der man hier am Sonntag die Züge ins Altmühltal, nach München und weiter nach Garmisch, Tegernsee oder Starnberg bestieg und unter der Woche die Kinder aus dem dörflichen Hinterland mit dem Zug am Nordbahnhof angeliefert wurden und zu Fuß zum einen Kilometer entfernten Gymnasium liefen. Hier kamen 1945 die Flüchtlinge an und der "Localbahnhof" war auch der Bahnhof, über den die Arbeiter der Geschützgießerei, der Despag und der Auto-Union täglich von ihren Heimatdörfern in die Stadt pendelten.
Das sind kleine und wenig glamouröse Teile unserer Geschichte, an die sich die Repräsentanten unserer Stadt nicht erinnern wollen. Sie blicken nach vorne, phantasieren vom "erfolgreichsten Standort Deutschlands", verweisen auf Rankings bei Focus Money. Sie denunzieren, was nicht dem Image der dynamischen High-Tech-Region entspricht, als wertlos und sind überzeugt, das Richtige zu tun. Sie sind erfolgreich, deshalb haben sie recht. So einfach ist das!
Deshalb ist es auch richtig, an die Stelle eines 140 Jahre alten Bahnhofsgebäude ein Parkhaus zu stellen, damit die Reisenden, wenn sie in der Premiumregion eintreffen, gleich wissen, woran sie sind.
Dynamik, Automobile, Modernität!
Willkommen in der Boomtown!
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