Dienstag, 23. August 2011
Ins Karwendel - Alpensinfonie in zehn Sätzen für zwei Räder
Jetzt, da endlich der Sommer angebrochen ist, kann ich das tun, wovon ich in den anderen Monaten dann zehren kann, wenn Wetter und Erwerbsarbeit das unmöglich machen. Radfahren, und zwar ordentlich! Dreistellige Kilometerzahlen. Ich erfülle jedes Jahr ein nie geleistetes Gelübde, einmal im Jahr meine, meine ganz eigene Radtour zu fahren. Warum, weiß ich auch nicht.


I Präludium
Dieses Mal, weil ich ein Bergradl in sein angestammtes Habitat zu überführen hatte, erfolgte die Anreise mit dem Rad (Ich kam an der Donau erst um 13.00 Uhr los, daher die letzten 30 km, wegen der einbrechenden Dunkelheit mit der DB, aber das ist ein eigenes, noch zu schreibendes Kapitel), durch die Hopfengärten der Hallertau, durch die immer noch nicht ganz durch Industrie und Fluglärm zerstörte nördliche Schotterebene, durch die Isarauen und den Englischen Garten, durch das Millionendorf und den Forstenrieder Park, vorbei an den unvermeidlichen Golfplätzen an den Stranberger See. Der war an diesem Abend - ich kann es nicht anders sagen und gestehe damit meine Beschreibungsimpotenz ein - unbeschreiblich schön.



Kein Wunder, dass da alle, die es sich leisten können und wollen, hinziehen. Der Bahnhof in Tutzing zeigt dagegen, dass die Wichtigen dort nie mit der Bahn fahren.
Nachts dann Ankunft im Basislager am Kochelsee.
Ich weiß, dass es für meine üblicherweise recht bescheidenen Verhältnisse Luxus ist, aber ich genieße ihn: zwei Räder in einer kleinen Abstellkammer, und ein Bett in einem Dachkammerl einer Wohnung am Alpenrand, eine Dusche, ein Kühlschrank, ein Herd. Ein Ort, an dem es alles gibt was ich brauche, sogar ein Fahrradgeschäft und einen der besten Käseläden, die ich kenne.

II Allegro aperto
Nach kurzem Einrollen geht es mit der Kesselbergstraße los, die so etwas ähnliches wie eine Alpenpassstraße ist.



Ich bringe sie üblicherweise so schnell wie möglich hinter mich, nicht aus sportlichem Ehrgeiz, sondern wegen der Motorräder, Lkw, Wohnmobile und anderer stinkender Bleche. Die Straße schraubt sich mit mäßigen 5-6% Steigung bis auf bescheidene 859m, dann gehts noch ein paar Kurven runter an den Walchensee, vorbei an einer Goethe-Büste, denn der hatte hier in der Gegend auf dem Weg nach Italien 1786 seine Begegnung mit dem Harfenmädchen.

III Adagio
In Urfeld dann scharf links auf die Uferstraße nach Sachenbach und hinein in eine andere Welt: autofrei, Blick über den See, diesen wunderbaren See, nach Süden zum Karwendel.





IV Rondo: tempo giusto
Hinter Sachenbach durch den Wald, schmale schlechte Straße, zur Zeit auch gesperrt für die automobilen Anlieger und eigentlich auch alle anderen Fahrzeuge, eigentlich...
Dann eine kurze scharfe Abfahrt und einbiegen auf die Mautstraße von Niedernach in die Jachenau.

V Pastorale
Dann durch die Jachenau, Schauplatz meiner schönsten und frühesten Kindheitserinnerungen und dann sanft bergab Richtung Isar, vor Lenggries auf den Radweg an der B13 der weitgehend schmerzfrei, schattig und auf den letzten fünf Kilometern sogar abseits der Straße hoch zur Staumauer des Sylvensteinsees führt.
Weiter geht es an der Isar oder dem was nach der Abzapfung von Isar- und Rißbachwasser für das Walchenseekraftwerk davon übrig gebieben ist, entlang bis nach Vorderriß.

VI Maestoso
Dann hinein ins Vergnügen und über Hinterriß ins Engtal, wieder mit viel zu vielen Autos und Motorrädern. Aber die Landschaft! Grandios und Majestätisch. Hier beschließe ich dann immer, demnächst mit den Bergschuhen anzureisen und einen der Karwendelgipfel zu besteigen, und jedes Jahr wieder... - aber lassen wir das.



Irgenwann stellt man dann fest, dass man in Österreich ist, der Asphalt ist besser und die Straßenschilder sehen anders aus. Es geht noch 20 km bergauf und dann ist der Große Ahornboden erreicht.



Schaut brettleben aus, ist aber eine fiese kleine Steigung.

VII Lento ma non troppo
Wenn man sich dann denkt, dass es jetzt eigentlich reicht, ist man an einem riesigen Parkplatz bei einem hässlichen Hotel (aber die Landschaft!) angekommen, mit einer Kas-Alm, wo es wenig überraschend Käse und stinkende Tirolernahrung (Kaminwurzen, Speckch) gibt, außerdem alkoholfreies Weißbier aus Erding und Bauernbrot zur Auffüllung der Kohlenhydrat-Speicher, das Ganze verkauft von einem Muster von Tiroler, Heinrich Heine hätte ihn nicht besser erfinden können.

VIII Vivace
Gut dass es bei der Rückfahrt zunächst 20km weitgehend bergab geht. Zurück in Vorderriß über den Isar-Rest auf die Mautstraße am Fluss entlang nach Wallgau.



Die Straße schaukelt munter auf und ab und kommt irgendwann an einen Ort, wo man es für eine gute Idee gehalten hat, schottische Heidelandschaft nachzubauen um darauf finanziell potenten Menschen die Möglichkeit zu geben, mit Eisenschlägern kleine Bälle in Löcher zu schubsen. Dann rechts abbiegen, B11, Radweg (der irgendwann aus ungeklärter Ursache plötzlich aufhört und dann plötzlich wieder da ist), in Einsiedel wieder der Walchensee, aber nur ganz kurz, denn die Straße führt jetzt ieder über einen Berg, dann durch Walchensee, an der Filmkulisse eines Wikingerdorfes entlang wieder nach Urfeld, drei Serpentinen hoch zur Passhöhe des Kesselberges und dann:

IX Prestissimo assai
fröhliches Schräglagenfahren mit sichtlich genervten Motorradfahrern, die wegen des permanenten Gegenverkehrs die Kombifahrer nicht überholen können und denen auch noch dieser übergewichtige Rennradfahrer am Auspuffrohr klebt.

X Largo
Am Kochelsee wirds wieder flach, dann im Ort nach dem Marc-Museum noch eine Steigung und das wars dann.
Bis nächstes Jahr

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