Samstag, 21. Juni 2008
Sonnwend
Um sich über das Unvermeidliche hinwegzutrösten, dass die Tage nun wieder kürzer werden und unvermeidlich auf die weihnachtliche Dunkelheit zusteuern, hätte man diesen Tag eigentlich intensiv erleben müssen, seinen Körper "ohne Rücksicht, klatschend in blaue Flüsse schmeißen" (B.B.), im Gras liegen, Wein trinken, Mendelssohn hören.

Was tun wir stattdessen?

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Montag, 9. Juni 2008
Public Viewing im Selbstversuch
Die sportlichen Fakten sind schnell abgehandelt: Deutschland besiegt Polen, oder genauer gesagt die deutsche Fußball-Mannschaft besiegt die polnische! Zwei Tore. Beide für Deutschland. Beide von Lukas Podolski. Darüber zu schwadronieren, was das bedeutet, angesichts der Tatsache dass L.P. in Gliwice, (Polen) geboren wurde, darauf möchte ich hier verzichten.
Da ich auf der Rückfahrt von einem Besuch bei einem Freund im Norden der Stadt war, musste ich durch die Altstadt, und da ich den mir gewohnten Weg durch die Donaustraße (mit dem Fahrrad, bien sur) versperrt fand, und ich nichts besseres zu tun hatte, ging ich daran das Mysterium "public viewing" zu ergründen!
21.30, die erste Halbzeit war gerade zuende, betrat dich die public-viewing-area, nicht ohne zuvor von einem höflichen ("darf ich sie betasten", oder so ähnlich) Herrn leibesvisitiert worden zu sein. Dann, so gebietet es die Folklore, musste ich mich mit EM-Bier versorgen, in diesem Falle Nordbräu, das hier, um hässliche Schädel-Hirn-Traumata zu vermeiden, in ulraleichten PET-Masskrügen kredenzt wird.

Das Gefühl beim Heben des Gefäßes ist immerhin neu. Aber man gewöhnt sich daran. Ansonsten überall Menschen, die ich, zumindest da wo ich mich üblicherweise bewege, kaum zu Gesicht bekomme, obwohl ich weiß, dasss es sie gibt! Auch daran kann man sich gewöhnen. Schwarz-rot-gelbe Winkelemente im Überfluss. Euphorie, wohin mal auch blickt. Eigentlich nicht unangenehm, glückliche Idioten sind frustrierten, aggressiven Idioten unbedingt vorzuziehen. Lediglich das böse neue Rathaus, das seine Alu-Jalousien-Zähne auf uns herabbleckt, stört die positive Stimmung.
Es ist Halbzeit-Pause. Der Blick auf den Bildschirm zeigt plötzlich, obwohl das ZDF gesendet wird, das grinsverzerrte Antlitz von Frau Haderthauer - überlebensgroß und in Farbe. Der Ton ist nicht hörbar, es läuft depperte Musik, man darf nicht hören, was Frau H. zu sagen hat. Und das ihrer Heimatstadt, in ihrem Wahlkreis! Das ist vielleicht auch besser so.

Der Bildschirm ist übrigens ungefähr in der vertikalen Mitte durch einen schmalen schwarzen Streifen geteilt. Das stört manchmal, nämlich immer dann, wenn es einem auffällt.

Als Podolski das 2:0 macht, springe auch ich auf und stoße einen Jubellaut aus. - Ich kann nichts dagegen machen und ich schäme mich. Natürlich: der Alkohol!


*-*-*

Das Übelste an der ganzen Veranstaltung ist jedoch der Mensch, dem man das Mikrofon überlassen hat. Sinnfreies Stadion-Gegröle, die Evozierung von Südkurven-Benehmen, die schleimig-devote Danksagung an die Sponsoren des Events.

So viele Menschen! Auf unserem scheußlichen Rathausplatz. Den meisten hätte auch ein public viewing auf dem Granitplatten des Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg gefallen.

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Mittwoch, 4. Juni 2008
Fensterplatz
Mit der Bahn zu fahren kann entgegen einer weitverbreiteten Behauptung bisweilen sehr entspannend sein. Für mich persönlich zählt zu den angenehmen Aspekten des Bahnfahrens die Tatsache, dass man aus dem Fenster schauen und die Welt an sich vorbei ziehen lassen kann, auch wenn es eine Welt ist, die man schon sehr gut kennt, wie die Welt an der Strecke zwischen Ingolstadt und München.

Es ist immer wieder lehrreich, sich die Welt zu betrachten, wie sie ist, mit ihren Hopfengärten, Altglascontainern, Einfamilienhaus-Geschwüren und Feldwegen.

Auch im Flugzeug will ich immer einen Fensterplatz! Auch wenn es da nichts zu sehen gibt als Wolkenweiß und Nebelfetzen.
Das zweckfreie Schauen und Staunen ist eine von den meisten Zeitgenossen durchaus unterschätzte Tätigkeit. Aber seit Milliardenbeträge verpulvert werden, damit weiße Züge in Tunnels unter den herrlichen Mittelgebirgslandschaften Deutschlands die Passagiere rohrpostgleich durch dunkle Betonlöcher jagen, macht mir das Reisen auf diesen Strecken keinen Spaß mehr! Dann lieber in die Regionalbahn eingestiegen, die sich durch grandiose Talandschaften schlängeln darf und auch noch billiger ist.

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